Gute Erfahrung mit diesem Model hat Volker Picard gemacht. An seinem Bio-Laden im Frankfurter Stadtteil Rödelheim beteiligen sich 16 Anleger mit Einlagen von bis zu 15.000 Euro. Auslöser war Picards Wunsch, auf eine größere Fläche umzuziehen und das Sortiment „richtig gut“ zu präsentieren. „Wir hatten damals aber kaum Eigenkapital“, erinnert sich Picard. Das änderte sich, als Kollegen ihm von einem Ladner berichteten, der mit Genussrechten erfolgreich aufgestockt hatte. Picard fing Feuer für diese Idee, startete eine eigene kleine Werbeaktion, ließ Flyer drucken, um Kunden für sein Unterfangen zu gewinnen. Und das zahlte sich aus: Im Januar 2010 hat er seinen neuen, größeren Laden eröffnet.
Genussrecht-Modell speziell für Naturkosteinzelhändler
Gernot Meyer hat Picard bei der Konzept-Erstellung unterstützt. Der Unternehmensberater hat gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Ernst F. Lauppe ein Genussrechtsmodell entwickelt, dass sich speziell an Bio-Unternehmen richtet. „Indem man Kunden oder Mitarbeiter finanziell einbezieht, wird die Beziehung enger“, nennt Meyer einen Vorteil dieses Modells. Die Kunden würden sich dann noch mehr für die positive Entwicklung des Unternehmens interessieren, als sie es ohnehin tun. Die Anleger erhalten eine Mindestrendite, die häufig, wie bei Picard, bei drei Prozent liegt. Fährt das Unternehmen entsprechenden Gewinn ein, erhöht sich der jährliche Zins auf vier bis fünf Prozent. Beim Bio-Laden des Frankfurters gilt zusätzliche eine Sonderregelung: Wer sich mit mindestens 5.000 Euro beteiligt, erhält sogar vier Prozent Basiszins plus zwei weitere Prozent im Erfolgsfall. „Das ist bei unserem Betrieb jedes Jahr gewährleistet“, betont Picard.
Die Anleger erhalten ihre Rendite entweder in bar oder als Ware, wobei das Unternehmen den Zins in diesem Fall als Umsatz verbuchen kann, erläutert Meyer. In seinem Genussrechtsmodell laufen die Anlagen mindestens über sieben Jahre. Danach verlängern sie sich automatisch jedes Jahr, sofern der Anleger nicht kündigt. Mitspracherecht bei unternehmerischen Entscheidungen haben die Anleger nicht. „Das Konzept ähnelt stark dem einer Stillen Beteiligung“, sagt Meyer.
Kapital aus Genussrechten gilt, sobald es mindestens fünf Jahre im Unternehmen verbleibt, als Eigenkapital. Und erhöht damit die Bonität gegenüber herkömmlichen Kreditinstituten. „So wird es für die Ladner einfacher, zusätzlich einen Bank-Kredit zu bekommen“, erläutert Meyer. Allerdings sollten Unternehmen pro Jahr maximal 100.000 Euro als Genussrechte in Kapital umwandeln, setzt er warnend hinzu. Denn ab diesem Betrag besteht die sogenannte Prospektpflicht an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Und die schlage mit Kosten im fünfstelligen Bereich zu Buche.
Wartelisten bei einigen Unternehmen
Dennoch ließe sich erheblich mehr Kapital mit Genussrechten generieren. „Den Ladnern wird teilweise deutlich mehr als 100.000 Euro angeboten“, hat der Kommunikationsberater Klaus Braun festgestellt. Nicht nur aufgrund des niedrigen Zins-Niveaus würden sich zunehmend mehr Menschen für diese Anlageform interessieren. einen Aufschwung beobachtet auch Gernot Meyer: „Bei einigen Läden gibt es inzwischen Wartelisten. Die Nachfrage ist zum Teil sehr hoch.“ Erst vor kurzem habe ein Unternehmen die Hälfte der Anteilsscheine ausgegeben, noch bevor die erste Infoveranstaltung stattfand, berichtet er. Der Grund: Eine Zeitung hatte vorab auf das Genussrecht-Vorhaben des Bio-Händlers hingewiesen, daraufhin hatten sich zahlreiche Interessenten meldeten.
Sylvia Haslauer, Inhaberin des Biomarkts La Vida im oberbayerischen Utting, hat ebenfalls positive Erfahrungen mit Genussrechten gemacht. Ähnlich wie bei Volker Picard wurde ihr Laden irgendwann zu klein, um die Nachfrage zu bewältigen. „Wir hatten damals nur zwei Optionen: vergrößern oder spezialisieren“. Der Tipp, es mit Genussrechten zu probieren, kam vom Großhändler Bodan. Zwar kämen auch bei ihr die meisten Anleger aus der Kundschaft. „Es ist aber auch eine Außendienstvertreterin von einer unserer Kosmetikfirmen dabei. Und die hat eine Bekannte zur Infoveranstaltung mitgebracht“, erläutert Haslauer.
Einmal im Jahr lade sie ihre „Genussrechtler“ anlässlich der Gewinnausschüttung zum Buffet ein.Dort wird der Ja hresbericht und die Planung für das folgende Jahr vorgestellt. „Das ist für alle Beteiligten immer eine sehr schöne Veranstaltung“, betont Haslauer. Stünden neue Investitionen an, würde sie wieder auf Genussscheine zurückgreifen. Das sei aber momentan nicht nötig, sagt sie: „Weil ich die ersten Zinsen erst nach einem Jahr zahlen musste, konnte ich die anfallenden Neuinvestitionen selbst finanzieren.“ Beim Bank-Kredit hätte sie hingegen schon ab dem ersten Monat tilgen müssen.
Mit Aktien die regionale Bio-Wirtschaft unterstützen
Die Bürger AG für nachhaltiges Wirtschaften Frankfurt/Rhein-Main will die regionale Biowirtschaft fördern und beteiligt sich an mehreren Erzeugerbetrieben und Projekten. Das Kapital dafür bekommt sie von Privatpersonen, die sogenannte Namensaktien erwerben. „Damit wissen wir, wer bei uns beteiligt ist“, sagt Vorstand Joerg Weber. 117 Aktionäre haben im vergangenen Jahr in einer ersten Finanzierungsrunde Aktien im Wert von je mindestens 500 Euro erworben. Zusammen mit der Gründungssumme summiere sich das Kapital der Bürger AG auf etwa 500.000 Euro, so Weber weiter. Derzeit beteiligt sich die AG an vier Betrieben: am Dottenfelderhof in Bad Vilbel, Demeterhof Fleckenbühl in Cölbe bei Marburg, Bioland-Betrieb Ackerlei in Bruchköbel und am Demeter Hof Stedebach bei Marburg. Eine fünfte Beteiligung stehe in den Startlöchern, zudem seien Gespräche mit interessierten Bauernhöfen am Laufen. Weitere Finanzierungsrunden soll es geben, die nächste stehe demnächst an, denn „sonst werden wir nicht viel bewirken können“.
Für Bio-Unternehmen, die ins Portfolio der Bürger AG aufgenommen werden möchten, gelten zwei Voraussetzungen: Ihr Standort muss im Umkreis von 150 Kilometern rund um Frankfurt liegen, und sie müssen ihre Produkte in der Region vertreiben. Risiken entstehen für die Unternehmen laut Weber keine. Für die Anleger gelte, wie auch beim Kauf von Börsen-Aktien: „Es kann immer schiefgehen.“
Neben Privatpersonen sollen sich bald auch institutionelle Investoren einbringen, etwa Stiftungen und Unternehmen. „Die Frage ist allerdings, ob ein Institutioneller bereit ist, für eine geringe Rendite langfristig zu investieren.“ Ins Profil passe, wer nachhaltig und fair agiere. „Wir prüfen aber grundsätzlich jeden, der sich beteiligen möchte.“ 2016/17 sollen die Anleger erste Dividenden erhalten. Weber rechnet mit 1,5 bis zwei Prozent.
Weber setzt auf ein organisches Wachstum seiner AG. „Leider wird das aber nicht so schnell gehen, wie geplant“, bedauert der Ex-Banker und Betriebswirt, der in den 80er Jahren beim Aufbau der Ökobank eG mitgewirkt hat. „Man muss den Menschen immer wieder erläutern, wie wichtig es ist, in die Region und in die regionale Bio-Wirtschaft zu investieren.“
Die jährliche Erstellung des BaFin-Prospekts verschlinge zusätzlich viele Kapazitäten. „Das kostet viel Zeit und Geld, ist aber notwendig um möglichst viele Bürger für unsere Sache zu gewinnen.“ In die Zukunft blickt Weber optimistisch: „Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren ein Beteiligungsvolumen von ein bis zwei Millionen Euro haben und in fünf Jahren acht Millionen.“ Damit dies gelingt, steht Weber ein Fachbeirat zur Seite, dem Biobauern, Händler, Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler angehören. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates agiert Dr. Christian Thimann, der als einer der führenden Finanzexperten Deutschlands gilt und bis 2013 enger Berater von EZB-Präsident Mario Draghi war.